“Spoiler!? Bin ich völlig schmerzfrei, ich lese alles, was es so an Spoilern gibt“ (Aussage eines interviewten Fans)
von Dr. Matthias Völcker (Göttingen)
Hinweis zum Text: Der Text fasst lediglich zentrale Ergebnisse und Aussagen zusammen, vereinfacht an vielen Stellen, v.a. aus Gründen der Lesbarkeit, komplexe Aussagen und verzichtet weitgehend auf veranschaulichende Beispiele aus dem umfassenden Interviewmaterial. Diese können an anderer Stelle ausführlich nachgelesen werden.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis….
Für Star Wars-Fans sind diese Worte nicht nur vertraut, sondern gleichwohl emotional bedeutsam, versprechen sie doch den Auftakt einer Erzählung, die nun seit 40 Jahren weltweit Menschen begeistert. Was nun folgt, das wissen Star Wars-Fans sehr genau, verspricht Abenteuer, Spannung und Unterhaltung.
Der 2012 initiierte Verkauf der von George Lucas gegründeten Lucasfilm Ltd. an den Walt-Disney-Konzern ging für Star Wars-Fans mit z.T. massiven Veränderungen einher. Nicht nur wurden laufende Projekte und Arbeiten gestoppt, das bis dahin seit über 30 Jahren beständig gewachsene Expanded-Universe aus dem offiziellen Kanon „entfernt“ – ein Schritt, der für viele Fans bis heute als Zäsur erlebt wird –, die „legendären“ Computerspielentwickler des Tochterunternehmens LucasArts wurden aufgelöst, während gleichwohl mit der Arbeit an weiteren filmischen wie erzählerischen Projekten begonnen wurde. Besonders relevant war dies im Zusammenhang mit der Produktion neuer Star Wars-Kinofilme, die unmittelbar nach der Übernahmeankündigung durch Bob Iger, den CEO von Disney, angekündigt wurden. Auftakt sollte der für 2015 angekündigte erste Film, Star Wars Episode VII, sein und damit eine Reihe von neuen Filmen einleiten, die nicht nur die Geschichte um die Familie Skywalker erweitern, sondern auch andere Geschichten aus dem umfänglichen Star Wars-Universum thematisieren würden.
Im Zuge der Produktionsarbeiten an diesen neuen Filmen konnte und kann, beinahe alltäglich, ein Phänomen beobachtet werden, welches auch andere Filmfranchiseproduktionen begleitet. Denn nicht nur werden von offizieller Seite Informationen über den Produktionsprozess verbreitet, werden Beginn und Verlauf der Produktions- und Dreharbeiten in den sozialen Netzwerken oder durch die offizielle Star Wars-Seite begleitet, die Dreharbeiten durch Making-Of-Material „dokumentiert“ und Teaser, Trailer und TV-Spots ausgestrahlt, sondern auch „andere“, nicht offizielle Informationen dringen an die Öffentlichkeit und werden hier von Fans vielfältig diskutiert. All diese eine Filmproduktion, v.a. jene eines Star Wars-Films, begleitenden Aspekte erlauben dem Publikum, v.a. den loyalen wie kritischen Fans, einen kurzen Einblick in die visuelle Ästhetik, die Charaktere und potenzielle Handlungsentwicklungen und beschreiben dabei einen Prozess der schrittweisen Aneignung und Anverwandlung. Jonathan Gray charakterisiert diesen als ein „way of getting into a text“ [Text wird hierbei sehr weitläufig gefasst, worunter auch Filme etc. fallen] (Gray 2010: 149).
Zu den nicht offiziellen Informationen, die diesen Prozess begleiten und für diesen so charakteristisch sind, zählen auch sogenannte Spoiler und Leaks, die meist über Insider verbreitet und unter Fans z.T. äußerst kontrovers diskutiert werden. Um diese Spoiler und entsprechende ‚Spoilerpraxen‘ soll es in den folgenden Überlegungen gehen. Es geht hierbei also um ein Phänomen, wobei Fans bereits im Entstehungsprozess einer (filmischen) Produktion nach Inhalten und Wendungen einer in der Zukunft liegenden filmischen Erzählung suchen und entsprechende Spoiler konsumieren, oder aber eben auch bewusst meiden.
Fans und Spoiler
Fans und Fanpraxen werden weltweit ganz unterschiedlich intensiv erforscht und untersucht. Während im angelsächsischen Kulturraum etwa die Erforschung von Filmfranchisefans ein etabliertes Forschungsgebiet darstellt, sind entsprechende Untersuchungen in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften ein vernachlässigtes, weitgehend randständiges Forschungsgebiet geblieben. Dessen ungeachtet sind Filmfranchisefans auch hier sehr präsent, in verschiedenste Aktivitäten involviert und haben Teil an entsprechenden Entwicklungen. Die empirische Untersuchung dieser von Fans eingegangenen Beziehungen, die Erforschung ihrer Fanpraxen und die Relevanz dieser Beziehung für die Konstitution der (Fan-)Identität standen im Zentrum eines Forschungsprojektes, welches von 2014 bis 2016 an der Universität Göttingen durchgeführt wurde. Einer der dabei erforschten Gegenstandsbereiche war u.a. auch der Zusammenhang zwischen den Praxen dieses Fan-Seins bei Star Wars-Fans, dem daraus resultierenden Selbstverständnis als Fan und der Einstellung bzw. dem Verhalten gegenüber Spoilern.
Das Forschungsprojekt befasste sich mit der identitätsbezogenen Bedeutung, die Star Wars für seine Anhängerinnen und Anhänger besitzt, ging aber besonders auch Fragen nach, warum Star Wars eine solche Begeisterung und Faszination auslöst. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder deutlich, dass für Star Wars-Fans und die Frage, wie sie sich selbst verstehen, nicht nur vergangene und gegenwärtige Erfahrungen von Relevanz waren, sondern auch Aspekte und Entwicklungen, die in der Zukunft und damit im Ungewissen liegen, eine herausragende Bedeutung für sie und die Art, wie sie sich selbst verstehen, besitzen. An dieser Stelle kann auch das „Spoilerphänomen“ verortet werden. Doch was ist eigentlich ein Spoiler? Ein Spoiler
„is an element of a disseminated summary or description of any piece of fiction that reveals any plot elements which threaten to give away important details concerning the turn of events of a dramatic episode. Typically, the details of the conclusion of the plot, including the climax and ending, are especially regarded as spoiler material. […] Because enjoyment of fiction depends a great deal upon the suspense of revealing plot details through standard narrative progression, the prior revelation of how things will turn out can „spoil“ the enjoyment that some consumers of the narrative would otherwise have experienced.“
lautet der Eintrag der englischsprachigen Wikipediaseite. Spoiler beinhalten somit nicht nur Informationen, Hinweise auf Wendungen, Pointen und Handlungsentwicklungen, sondern sie verderben potenziell („to spoil“) auch den Genuss am Film und werden negativ gedeutet. Wer „spoilert“, verrät also etwas, und das meist so ungeschickt, dass er die ‚Ahnunglos-bleiben-Wollenden‘ unweigerlich in die Geheimnisse und Wendungen einer Geschichte einweiht. Ein Spoiler ist eine Information, ein Bild oder ein Videoausschnitt, der bestimmte Handlungselemente aufgreift und vorwegnimmt. Einerseits können und werden Spoiler über öffentlich zugängliche Medien – meist Webseiten, Zeitungen, Zeitschriften oder Filmrezensionen – verbreitet, wobei Hinweise oder ganze Handlungselemente, etwa von bereits ausgestrahlten Fernsehepisoden oder Kinofilmen, „verraten“ werden.
Unter Spoilern versteht man aber auch solche Informationen, die als sogenannte „Leaks“ durch Insider oder durch an einer Produktion beteiligte Personen, meist über das Internet, veröffentlicht werden, worunter Textspoiler, Videos und/oder Bilder gefasst werden. Diese letztgenannten Spoiler, um die es folgend v.a. gehen wird, werden überwiegend in und über soziale Netzwerke [Facebook], spezielle Webseiten oder News-Aggregatoren und Multiplikatorseiten [reddit] veröffentlicht, dort diskutiert und verhandelt. Neben ‚echten‘ Spoilern können auch sogenannte Fake-Spoiler beobachtet werden, also solche Informationen und ihre „Informanten“, die bewusst und geschickt mit falschen Informationen „spielen“ und diese verbreiten.
Die sich hieran anknüpfende Frage lautet, warum Fans eigentlich Spoiler konsumieren oder eben bewusst vermeiden, warum sie nach Hinweisen über die Handlung, zentrale Figuren und Figurenkonstellationen suchen und wie sie letztendlich diese soziale Praxis begründen.
Das Forschungsprojekt
Antworten hierauf sollten mithilfe von zwei aufeinander aufbauenden Untersuchungen gefunden werden, die ich mit Star Wars-Fans 2015 und 2016 realisierte. Im Zentrum dieser Untersuchungen standen einerseits Interviews mit 25 Fans, im Alter von sieben bis 46 Jahren, aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und einem Interviewpartner aus Malta, ebenso wie eine 2016, auf den Ergebnissen der ersten Interviewstudie aufbauende Fragebogenuntersuchung mit Star Wars-Fans, die v.a. die „Spoilerproblematik“ vertiefen sollte.
Forschungsergebnisse: Fans, Fan-Sein und Spoiler
Folgend werden nur zentrale Ergebnisse und Kernaussagen der beiden Untersuchungen im Kontext des Spoilerthemas vorgestellt (für eine Vertiefung vgl. Völcker 2016). Ging es in den mit Star Wars Fans geführten Gesprächen um ihr Selbstverständnis als Fans und v.a. ihren Umgang mit Spoilern, dann zeigte sich einerseits nicht nur die emotionale Verbundenheit, die Fans mit ihrem Gegenstand verbinden und empfinden, sondern gleichwohl eine Fülle unterschiedlicher Aktivitäten, die Fans rund um den Krieg der Sterne betreiben. Darüber hinaus konnten im Interviewmaterial unterschiedliche, individuell begründete Deutungsmuster und Interpretationen der eigenen Selbstwahrnehmung als Fans identifiziert werden. Das Material legte eine nähere Analyse dieser Selbstdeutungsprozesse nahe, wie auch die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen jenen Selbstauslegungen und entsprechenden Einstellungen gegenüber Spoilern und dem Spoilerverhalten.
Die vier Typen werden hier ausschließlich in ihren Grundzügen skizziert:
Typ 1: Kinder und Heranwachsende
Der erste Typus war für alle Erzählungen der interviewten Kinder charakteristisch, wobei sich v.a. ihre beschriebene Beziehung zum Fangegenstand und das entsprechende Selbstverständnis deutlich von jenen der erwachsenen Fans unterschieden. Ein zentrales Merkmal bestand darin, dass die Kinder ihr Fan-sein über die Identifikation mit Star Wars meist mit äußeren Gegenständen – meist Spielwaren – verbinden und so zu einer weitgehend verdinglichten Selbstdefinition gelangten. Diese Beziehungsstruktur zum Fangegenstand kann sich im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung verändern und wandeln. Spoiler wie auch der entsprechende Spoilerkonsum waren für diese Gruppe (noch) nicht relevant.
Typ 2: „Allgemeinheitsfans“
Ganz anders war dies bei den erwachsenen Fans des zweiten, dritten und vierten Typus, wobei v.a. die des zweiten und dritten Typus für die weitere Betrachtung von Relevanz sind. Fans, die im Auswertungsprozess dem zweiten Typus zugeordnet werden konnten, charakterisierten ihr Fan-sein als ‚Allgemeinheitsfans‘. In ihren Erzählungen verdeutlichten sie, dass sie Teil haben am Star Wars-Universum und den dort gebotenen Möglichkeiten, sie kennen sich aus, verstehen sich aber eher als ‚Generalisten’ und beschrieben eine kritische bis vollständig ablehnende Haltung gegenüber Spoilern. Die zentrale Schnitt- und Verbindungsstellen lokalisierten sie in den Star Wars-Filmen und deren mehr oder minder regelmäßigem Konsum. Auch in den daraus resultierenden Aktivitäten verstehen sie sich als Fans, die teilhaben am Star Wars Universum und seinen Möglichkeiten, dabei aber Vielfalt präferieren ohne bestimmte Aktivitäten zu vertiefen.
Typ 3: „Hardcore-Fans“
Von dieser zweiten Gruppe wichen die Erzählungen eines dritten Typs ab, wobei in diesen Erzählungen die Beschreibungen des Fan-seins mit einem begrifflichen Zusatz [bswp. als ‚Hardcore-Fan‘ oder ‚Nerd‘] versehen waren, womit sowohl die Selbstdeutungen, Verbundenheit wie auch Fanaktivitäten verknüpft waren. Entgegen den Fans des zweiten Typus konsumierten diese Fans regelmäßig Spoiler und verstanden diese Praxis auch als wichtiges Merkmal ihres Fan-Seins. Die dieser Gruppe zugeordneten InterviewpartnerInnen begründeten ihren Fanstatus nicht nur über bestimmte Praxen, sondern verdeutlichten in den Gesprächen, dass Star Wars ein so wesentliches Merkmal ihres Alltags und ihre Selbstverhältnisse war, wobei immer wieder in den Gesprächen eine Art ExpertInnenstatus formuliert wurde, der mit entsprechenden Fanpraxen der Aneignung und Auseinandersetzung assoziiert war und individuelle Besonderungen erlaubte. Die damit von diesen Fans begründeten Unterscheidungsmöglichkeiten zu anderen entstehen für die Fans dieses Typs in einer Art Differenzästhetik, anders, durchaus auch „extremer“, zu sein.
Typ 4: Verinnerlichte geschlechtsspezifische Vorurteile und Stereotype bei Frauen
Für die vierte Gruppe wiederum war charakteristisch, das sich die Interviewten dieses Typus – ausschließlich Frauen – wenn es um sie und ihren Status als Fans ging, in einer Art ‚Behauptungs- und Verteidigungsrolle‘ erzählten, die sie v.a. in ihren sozialen Beziehungen zu anderen, außerhalb der Star Wars-Community stehenden Personen erlebten, wobei sie ihr Fan-sein in diesen Kontexten und aufgrund geschlechtsbezogener Stereotype als eher ‚untypisch‘ beschrieben. Fans dieses Typs sahen sich im Verlauf ihrer Fansozialisation mehrfach solchen Stereotypen gegenüber, wobei sie ihr eigenes Fan-sein vehement behaupten und verteidigen müssen. Gleichwohl werden soziale Beziehungen innerhalb ihrer Fankontexte als reichhaltig und vorurteilsfrei beschrieben. Die entsprechenden Selbstdeutungen glichen dann auch eher jenen des dritten Typs, wobei auch hier das Fan-sein mit entsprechenden begrifflichen Zusätzen versehen wurde und auch der Spoilerkonsum wie entsprechende Begründungsmuster jenen Fans des dritten Typs ähnelten.
Im Interviewmaterial zeigte sich, dass zwischen diesen Selbstdeutungen, den individuell begründeten Einstellungen gegenüber Spoilern und dem Spoilerkonsum, ein Zusammenhang beschrieben werden kann. Denn wenn es in den mit Star Wars Fans geführten Gesprächen um Spoiler ging, dann wurden fast ausschließlich zwei Positionen formuliert und begründet: Die einen „tun es“ und lassen sich „spoilern“, die anderen meiden Spoiler. Dabei konnte im Material ein Muster identifiziert werden, wobei jene Fans, die sich selbst eher als ‚Allgemeinheitsfans‘ beschrieben, auf Spoiler verzichteten, während ausnahmslos alle Fans der sogenannten ‚Hardcore-Gruppe‘ mehr oder minder intensive Spoilerkonsumentinnen und -konsumenten waren und die entsprechende Nutzung dieser Informationen als Merkmal ihres Selbstverständnisses als Fans interpretierten und auch entsprechend begründeten.
Dabei zeigte sich in den Gesprächen, v.a. in jener Gruppe der spoilerkonsumierenden Fans, dass hier weniger ein Verderben („to spoil“) oder die Vorwegnahme handlungsbezogener Überraschungsmomente im Mittelpunkt ihrer Begründungen stehen. Vielmehr verwiesen diese Fans immer wieder darauf, dass die Rezeption von Spoilern, etwa durch das Lesen einer Spoilernachricht oder das Betrachten von Bildern, lediglich auf eine Ebene der filmischen Erzählungen bezogen bleibe, die v.a. Entwicklungen der Handlung und von Charakteren umfassen würden. Die visuelle und erzählerische Umsetzung und der entsprechende Genuss bleiben hiervon für sie weitgehend unberührt. Daneben wurden qualitative Gründe angeführt, mit denen der Spoilerkonsum begründet wurde: etwa Enttäuschungen von Star Wars-Fans über die Filme der Prequel-Trilogie oder auch die Befürchtung, dass zentrale Figuren sterben könnten; einen Moment, auf den sie sich über den Spoilerkonsum emotional vorbereiten.
Die Begründungen resultierten in den Interviews in einer Art Immunisierungsbestrebung und ‚verführten‘ so zum regelmäßigen Lesen von Spoilern. Mit den darüber erhaltenen Informationen können sich einige der hier interviewten Fans von einer emotionalen Belastung befreien, sich auf die entfaltende Geschichte konzentrieren und diese in den bestehenden Kontext einordnen. Spoiler fungieren dann in der Tat als „a way of getting into the text“. Erstaunlicherweise waren alle Fans, die in den Gesprächen davon erzählten, regelmäßig Spoiler zu konsumieren, jene, die sich in ihren Selbstbeschreibungen als ‚Hardcore-Fans‘ interpretierten. Dieser „Spoiler-Gruppe“ wiederum stehen Fans gegenüber, die den Konsum von Spoilern eher zurückhaltend bis verweigernd beurteilten und Spekulationen und Diskussionen über Handlungsverläufe, Storywendungen und zentrale Elemente der Filmhandlung zu umgehen suchten. Hierzu gehörten alle Fans, die sich in ihrem Selbstverständnis als ‚Allgemeinheitsfans‘ oder ‚Generalisten‘ verstanden.
Fragebogenuntersuchung
Auch in der Fragebogenuntersuchung konnten wir diese Zusammenhänge beschreiben. Diese Teiluntersuchung wurde von März bis April 2016 realisiert. Der Fragebogen wurde über ein Fragebogenonlinetool [UniPark] verbreitet, verschiedene Fanseiten, Facebookgruppen etc. kontaktiert und um Teilnahme gebeten. Insgesamt beteiligten sich 1.241 Probandinnen und Probanden, jedoch war die Abbruchquote, immer ein erhebliches Problem bei Onlinebefragungen, auch im vorliegenden Projektzusammenhang sehr hoch, wobei vollständig ausgefüllte Datensätze von 371 Probandinnen und Probanden vorliegen.
Die Auswertung der Daten führte zu interessanten Resultaten: Hinsichtlich des Spoilerverhaltens zeigte sich in den Daten, dass die überwiegende Mehrzahl der befragten Fans Spoiler regelmäßig liest bzw. aktiv konsumiert. Annähernd 75% der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gaben in der Befragung an, dies regelmäßig zu tun, während entsprechend rund 25% der Befragten Spoiler und ihren Konsum eher kritisch betrachteten und ihren Konsum vermieden. Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen kaum, wobei 75% der männlichen und 78% der weiblichen Befragten angaben, regelmäßig Spoiler zu konsumieren. Auch die Beschreibungen darüber, was unter Spoilern zu verstehen ist, variierten. So wurden Textspoiler, Szenenbeschreibungen, Bilder vom Set (Spyfotos), Script-Leaks, Videos vom Set, aber auch Interviews mit der Produktionscrew ebenso wie Teaser, Trailer und TV-Spots als potenzielle Spoiler beschrieben.
In einem zweiten Schritt wurde das Datenmaterial auf entsprechende Zusammenhangsstrukturen untersucht. Ausgehend von den Befunden der Interviewstudie wurde in den Gesprächen mit Fans ein Zusammenhang zwischen dem eigenen Selbstverständnis als Fan, einer entsprechenden Selbstkategorisierung und dem Spoilerverhalten bzw. -einstellungen modelliert. Für die Ermittlung von entsprechenden Zusammenhängen wurde ein Strukturgleichungsmodell berechnet. Es wurde ein Modell formuliert, wobei direkte wie indirekte Effekte spezifiziert und geschätzt wurden. Direkte Effekte sind der folgenden Abbildung 1 [Strukturgleichungsmodell; Zur Vereinfachung: rot = signifikante Zusammenhänge] zu entnehmen. In das Modell zusätzlich aufgenommen wurde ein Konstrukt zur Fanmotivation, differenziert in die Aspekte Qualität, Rückzug/Flucht, soziale Merkmale, Unterhaltung ebenso wie ein Aspekt zur Vermeidung von Langeweile. Auf zahlenmäßige Zusammenhänge und deren Darstellung wird aus Gründen der Vereinfachung hier verzichtet.

Strukturgleichungsmodell und Fan-Motivation
Im Strukturmodell sind die für die Untersuchung relevanten Konstrukte enthalten, von denen aufgrund theoretischer Annahmen und der Erkenntnisse der qualitativen Teilstudie erwartet wurde, dass sie einen Beitrag zur Erklärung des Spoilerverhaltens liefern können. Zu sehen sind hierbei einerseits Zusammenhänge zwischen einzelnen Faktoren der Fanmotivation, der Suche nach Informationen, Zusammenhängen zum Selbstverständnis als Fan und dem Spoilerverhalten. In vorliegender Teiluntersuchung zeigte sich, dass einerseits die Fanmotivation bei Star Wars-Fans in verschiedene Dimensionen differenziert werden kann [Star Wars-Fan-Motivation (SWFMS)], was unterschiedliche Aspekte im Kontext der Fanbeziehung (Qualität, Rückzug/Flucht, Vermeidung von Langeweile, Sozial und Unterhaltung) umfasst.
Ebenso wurden mithilfe entsprechender Verfahren Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen, der damit verbundenen Suche nach Informationen, dem Selbstverständnis als Fan und der Spoilerkonsumpraxis untersucht. Es erwiesen sich v.a. soziale Aspekte, qualitative Merkmale der Erzählung, ebenso wie Merkmale der Unterhaltung als relevant, die für die hier untersuchten Fans mit einer ausgeprägten Suche nach Informationen einhergehen. Vermittelt über diese konnten entsprechend direkte und indirekte Effekte zum Selbstverständnis als Fan beschrieben werden. Höhere Zustimmungswerte in den o.g. Dimensionen stehen in einem Zusammenhang mit dem Selbstverständnis, etwa als „Hardcore-Fan“. Auch der in der qualitativen Teilstudie beschriebene Zusammenhang zwischen diesem Selbstverständnis als Fan und der entsprechenden Spoilerkonsumpraxis konnte, wenn auch nicht besonders ausgeprägt, aber dennoch statistisch signifikant, hier ebenso beobachtet werden. Sich selbst als „Hardcore-Fans“ klassifizierende Fans konsumierten statistisch häufiger auch Spoiler.
Fazit
Hinsichtlich des individuellen Verhaltens wie auch den in den Interviews und der Fragebogenuntersuchung begründeten Einstellungen gegenüber Spoilern und dem Spoilerphänomen zeigten sich in den Untersuchungen interessante Ergebnisse. Die Mehrzahl der hier untersuchten Fans ging mit Spoilern und dem Spoilerkonsum offen um, konsumierte diese regelmäßig und verstand sie als Teil der eigenen Fanpraxen. Über Ursachen und Gründe dieser Differenzierung in Verhalten und Einstellungen gegenüber Spoilern können, auf der Grundlage des Datenmaterials, vorsichtige, interpretative Rückschlüsse gezogen werden. Zwar äußerten alle der hier interviewten Fans eine emotionale Verbundenheit zum Material ihres Fan-Seins. Doch scheinbar ist die Art und Weise dieser Beziehung für ‚Hardcore-Fans‘ und die Relevanz und Identifikation mit dem erzählerischen Universum und den individuellen Möglichkeitsräumen, die ihnen Star Wars offeriert, nicht nur stärker mit ihrem Selbstverständnis als Fans verknüpft, sondern damit auch ein wesentliches Merkmal ihrer Selbst- und Weltbeziehungen.
Ein Erklärungsversuch könnte darin bestehen, dass sich Fans, etwa gegenüber möglichen Enttäuschungen der neuen Filme und damit einer potentiellen Gefährdung ihrer Reputation als Fans über den Konsum von Spoilern immunisieren. Sie entlasten sich emotional nicht nur über das Lesen dergleichen, sondern beschreiben und betreiben eine Praxis, die dem „Durchschnittszuschauer“ einer Star Wars Episode auf den ersten Blick wenig relevant, wenn nicht gar befremdlich erscheinen mag. Doch für die Fans der ‚Hardcore-Gruppe‘ besitzen diese filmischen Erzählungen wie auch die daraus resultierenden Aktivitäten eine ganz eigene, tiefgründige Bedeutung, die verbunden sind mit einer für sie erheblichen emotionalen Relevanz, entsprechenden Aktivitäten und letztendlich darüber wer sie, nicht nur als Fans, sind und wie sie sich selbst verstehen. Die schrittweise Enthüllung, der im Ungewissen liegenden filmischen Erweiterungen erschließen sie sich nach und nach über Spoiler – zur Handlung oder zentralen Figuren – und betreiben damit einen Prozess der Aneignung.
Dabei können Spoiler und Spoilerkonsum durchaus entlasten und sind zugleich als Phänomen für das individuelle Selbstverständnis von Relevanz, besitzen doch die handlungsbezogenen Entwicklungen einen subjektiven Sinn und Wert in sich für diese Fans. Der Reiz des „Verfügung-könnens-über“ und das Vorhandensein solcher Informationen und die darin entschlüsselten Geheimnisse sind für sie auf das engste damit verknüpft wer sie sind und wie sie sich selbst verstehen, denn hier und in den neuen Filmen werden Aspekte und Merkmale berührt, die das Ursprungsmaterial ihres Fan-seins ausmachen und entsprechend erweitern. Spoiler und deren Konsum haben dann durchaus eine Funktion: Denn durch das Lesen und schrittweise Verinnerlichen dieser Informationen werden nicht nur Teile des filmischen Geheimnisses enthüllt, sondern vielmehr potenziell belastende emotionale Zustände reduziert bzw. über einen schrittweisen Aneignungsprozess kompensiert. Sie bieten damit eine Gelegenheit für diese Fans, die Vorzüge des Gesamterlebnisses und die Einordnung in bestehende (filmische) Zusammenhänge zu erleichtern.
Dabei sind es weniger handlungsbezogene Twists und Wendungen der Erzählungen, die im Vordergrund des Spoilerkonsums stehen, sondern vielmehr die damit zusammenhängende individuelle Bedeutung dieser Teilerzählung für ihr ganz eigenes Fan-sein. Allein die Befürchtung, eine weitere Filmepisode könnte, ähnlich wie für viele Fans die Filme der Prequel-Trilogie, enttäuschen, treibt einige der hier interviewten Fans beständig dazu an, nach neuen Informationen zu suchen, diese zusammenzutragen und sich im Vorfeld der Kinoverwertung mit dem spekulativ bleibenden Aufbau und der Struktur der Handlung zu befassen, diese aus einzelnen Informationen zu konstruieren und in bestehende Handlungszusammenhänge einzuordnen.
Aus der Perspektive der ‚Hardcore-Fans‘ etwa führt ihr Spoilerkonsum keineswegs dazu, dass ihre Freude am finalen Film reduziert werden würde. Sie geben und eröffnen vielmehr eine Möglichkeit einen Fokus für eigene Spekulationen, die Formulierung von Theorien und Erwartungen zu eröffnen. Sie ermöglichen es, das Gesamtbild einer Erzählung zusammenzusetzen, wobei Aspekte des „Wie“ zwangsläufig unbeantwortet bleiben (müssen) und damit Aspekte und Merkmale, die immer noch überraschend sind und sein können.
Literatur
Gray, J. (2010): Show sold separately. Promos, Spoilers, and other media paratexts. New York, London. New York University Press.
Völcker, M. (2016): Fan-Sein: Die Identität des Star Wars Fans. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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