Die Seite von Lucas, die aus dem Käfig herauswill, hat er mehr Verbündete, als er vermuten dürfte. Filmkritiker Robert Ebert fasziniert schon heute die Möglichkeit, dass der Regisseur von Krieg der Sterne aus der abgetragenen Hülle seiner Rolle als Traumproduzent für Kinder herauswachsen könnte.
„Lucas ist ganz großartig auf dem Gebiet der Science-Fiction, und er könnte seine Wurzeln im unabhängigen Film mit seinen natürlichen Vorlieben für kleine Sci-Fi-Filme verbinden.“, sagt er. „Es gibt eine Menge kopfzerbrechender spekulativer Werke von Robert Heinlein und Isaac Asimov, die niemals verfilmt worden sind. Ein Film wie Michael Gondrys Vergiss mein nicht ist Science Fiction, obwohl man ihn nie so genannt hat.“
Während Lucas verspricht, dass seine neuen Filme philosophische Themen von der Theologie bis zur Sklaverei in Gesellschaftsformen der Gegenwart in Angriff nehmen werden, sagt er, dass es sich dabei um „kleine Projekte, wie sie normale Leute machen“ handeln wird. „Man dreht ein paar Monate, die Filme sind binnen eines Jahres fertig, und wenn man noch einen drehen will, hat man immer noch viel Freizeit.“
Mit einer Vision, die nur mächtig genug ist, bedeutet Größe nichts, wie Yoda sagen würde. Ein 32jähriger ehemaliger Kodierer namens Shane Carruth gewann letztes Jahr den Jurypreis des Sundance-Festivals für einen verzwickten Thriller über Zeitreisen mit Namen Primer.
Produktionskosten: $ 7000.
Eine Hürde, die Lucas auf dem Weg zum Denken in kleineren Dimensionen noch überwinden muss, ist, dass es nicht einfach ist, seine Ziele kleinerzustecken, wenn man glaubt, dass man nicht nur ungewollt die Schwemme der Multiplex-Kinos in Amerika finanziert hat, sondern indirekt auch für den Erfolg von unabhängigen Produktionen wie Lost in Translation und Die wunderbare Welt der Amélie verantwortlich ist.
„Nach Krieg der Sterne, Jurassic Park, Der Pate und Der Exorzist – alles gigantische Erfolge – wanderte die Hälfte des Geldes zu den Kinobetreibern, und von 15000 Leinwänden gingen wir hoch auf 35000.“, sagt Lucas. „Der springende Punkt im Filmgeschäft ist der jedes Geschäfts: Ausstellungsfläche.“ Mit all den neuen Leinwänden, so glaubt Lucas, würden nun „Hunderte von esoterischen Kunstfilmen“ von Firmen wie Miramax finanziert und erreichten Zuschauer, die sie früher nie gesehen hätten: „Man hat am Ende eine viel differenziertere Auswahl von Filmen auf dem Markt als noch in den 1960ern.“
Er hat recht damit, dass die Kassenschlager nach Der weiße Hai, darunter auch seine eigenen, die Verwandlung der Filmpaläste in der Nachbarschaft zu Unternehmenstitanen finanziert haben. Aber er täuscht sich in seiner Einschätzung, was in diesen Monsterkinos läuft, meint Dade Hayes, Autor von Open Wide: How Hollywood Box Office Became a National Obsession. „Es stimmt, dass vor 30 Jahren eine gewisse Klasse von Art-House-Filmen niemals das Tageslicht gesehen hätte. Was toll ist, wenn man in Los Angeles, Boston oder New York lebt, aber in den meisten Kinozentren, die das große Geld machen, gibt es einfach nur weitere Vorführungen von Shrek 2.“
Für unabhängige Filmemacher gibt es glücklicherweise ein Gegengewicht: die Verbindung von DVD und Internet. Unternehmen wie Film Movement, CineClix und Netflix steigern den Verkauf von unabhängigen Filmproduktionen, indem sie ihre Auswahl vergrößern und Onlinewerbung zielgerichtet auf potentielle Käufer von Nischenprodukten ausrichten. Niki Caros Whale Rider haben mehr Menschen auf DVD und Videokassette als im Kino gesehen. 13 Millionen Dollar wurden über Videotheken eingenommen, zusätzlich zu den US-Kinoeinnahmen von 21 Millionen Dollar – viel Geld für den Debütfilm eines Regisseurs. Netflix allein brachte 530000 Dollar von diesen Mieteinnahmen ein, durch die Vermarktung von Whale Rider an seine 2,5 Millionen Kunden auf Basis von Nutzerbewertungen.
Während Lucas seit Jahren vorausgesagt hat, dass der Online-Filmvertrieb die Filmemacher endlich aus dem tödlichen Griff von Fox und Paramount befreien würde, scheint er nun – da dies wirklich zu geschehen beginnt – dem alten Kinomodell und einem hollywoodesquen Größensinn besondere Treue zu beweisen.
„Wenn man es schafft, dass eine Millionen Leute Deinen Film am ersten Wochenende sehen, macht man ungefähr 5 Millionen Dollar. Das wird ihn nicht in die Hitliste einsteigen lassen.“, erklärte er mir. „Man muss am ersten Wochenende 10 Millionen Leute bekommen. Umd wenn man das nicht binnen zwei Tagen nach dem Start geschafft hat, ist man praktisch wieder raus aus den Kinos und auf dem DVD-Markt. So läuft dieses Ökosystem. Wenn man eine Maus ist, sollte man nicht erwarten, einen Löwen erlegen zu können, weil es einfach nicht passieren wird. Wenn man diese Art von Macht haben will, ist es besser, ein Löwe zu sein, weil die Mäuse sehr toll sind – sie haben ein Leben und all das – aber die Löwen sind diejenigen, die sich draußen herumtreiben und die ganze Welt zu Tode erschrecken.“
Das ist die Stimme seines inneren Vaders – der nie als etwas schwächeres als ein Löwe gesehen werden will und seinen Terminkalender mit allem möglichen vollstopft, nur nicht mit den Filmen, die er, wie er sagt, wirklich machen will. Die eigene Neuerfindung mitten in der Karriere ist kein Luxus, den sich die meisten Regisseure leisten können. Lucas‘ harterkämpfter, sorgsam verwalteter Wohlstand hat ihm nicht nur das Recht erworben, zu versagen, er gibt ihm die Chance, auf Wegen Erfolg zu haben, die seinen Rollenmodellen verwehrt waren. Für die alten Hasen, die Lucas in der Filmschule unterwiesen, wäre die Rückkehr eines ihrer berühmtesten Schüler zu einem persönlicheren Stil des Filmemachens wie eine künstlerische Rückkehr nach Hause.
„Ich bin stolz auf George, aber ich mache mir Sorgen um ihn.“, sagt Lucas ehemaliger Kamera-Professor Woody Omens.
„Er hat versucht, zu einem frühen Zeitpunkt in seiner Karriere eine andere filmische Sprache zu sprechen, und er versucht das noch immer. Würde er wollen, dass ich ihn heute, 40 Jahre danach, wieder unterrichte, würde ich sagen: ‚lass los. Mach etwas, dass die nicht-narrative Seite des menschlichen Ausdrucks aus der Perspektive eines Altmeisters erkundet. Geh raus und mach den Film Deines Lebens.'“
Der Dreh- und Angelpunkt des Mythos von Luke Skywalker sind mutige Befreiungsakte. Bei unserem Gespräch auf der Ranchs fasst Lucas die zentralen Themen seiner Film von THX-1138 bis Die Rache der Sith zusammen: „wie kommt man persönlich zu dem Punkt, wo man aus seiner Starre erwacht, sein Leben in die Hand nimmt und mutige und gefährliche Dinge tut?“
Nun, da Lucas Irrfahrt ins Land der Droiden und Wookiees vorüber ist, hat er die Gelegenheit, den Mut seines jüngeren Selbst, das einst mit einem Bleistift Nr. 2 ein Universum schuf, zu wecken. Die Meister des unabhängigen Kinos und die digitale Rebellenallianz haben sich vor den Toren der Skywalker-Ranch versammelt, um eine Botschaft abzugeben: „Vertraue Deinen Gefühlen, Lucas!“
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