Das Interview im Überblick
Über Kenobi
Etwas, das den Roman Kenobi besonders bemerkenswert macht, ist, dass er ziemlich viel Zeit hatte, um zu reifen. Wenn Sie heute auf diesen Prozess von einem Graphic-Novel-Konzept zum Roman zurückblicken, war das manchmal frustrierend, weil es so viel Zeit in Anspruch genommen hat, oder hat es dem Roman gut getan, dass Sie so viel Zeit hatten, darüber nachzudenken?

Als ich das erste Konzept schrieb, das war im Herbst 2006, war das im ersten Jahr der Knights-of-the-Old-Republic-Reihe. Ich arbeitete damals noch bei einem Verlag und suchte verzweifelt nach einem Weg, dort rauszukommen und nicht mehr dort arbeiten zu müssen, weil mir klar wurde, dass es dieses Unternehmen in 20 Jahren nicht mehr geben würde. Und tatsächlich gibt es den Verlag heute auch nicht mehr.
Ich habe dann alle möglichen Schritte unternommen, um zu versuchen, ein paar weitere Projekte zu entwickeln. Die Leute von Dark Horse sagten damals: Wir wollen eine Reihe von Graphic Novels zum 20-jährigen Jubiläum von Dark Horse machen, das 2007 auch das 30-jährige Jubiläum von Star Wars gewesen wäre.
Jeremy Barlow und ich diskutierten dann über eine Vielzahl von Dingen. Und irgendwann kamen wir auf Westernfilme zu sprechen, und ich sagte: Moment, ich hab’s. Hier ist meine Idee für einen Ben-Kenobi-Western, und hier hast Du eine E-Mail aus etwa vier Absätzen, die mehr oder weniger die Grundzüge des Romans enthält.
Er schrieb dann zurück: Alles klar, jetzt haben wir etwas. Danach schickte ich ihm eine Version der Handlung, er gab mir zurück, bitte überarbeite das, dann habe ich eine zweite Version geschrieben, dann eine dritte. Und als die dritte Version fertig war, hatte ich meinen Job gekündigt, und ich hatte eine ganze Reihe anderer Dinge zu erledigen:
Zum einen hatten wir bei Knights of the Old Republic angefangen, Vector zu entwickeln, das Crossover mit all den anderen Star-Wars-Comicreihen. Dann habe ich angefangen, andere Nebenprojekte zu schreiben, z.B. das Knights of the Republic Handbook. Und mehr als alles andere hat die Star Wars Celebration im Mai 2007 in Los Angeles dazu beitragen, das Projekt zu stoppen, denn dort kam das Gerücht auf, dass der US-Fernsehsender ABC eine Star-Wars-Serie machen würde, die in den sogenannten Dark Times spielen sollte, also nach Episode III.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir Obi-Wan schon mit Samthandschuhen angefasst, aber ab diesem Punkt bestand tatsächlich die Möglichkeit, mit etwas zu kollidieren, denn Ewan McGregor war 2007 ja noch fast im gleichen Alter wie am Ende der Prequel-Trilogie. Und so dachten wir uns, vielleicht sollten wir das Projekt erstmal einmotten.
Der andere Grund war, dass Jeremy inzwischen zum Herausgeber der Indiana-Jones-Comics bei Dark Horse geworden war, und ich hatte ihm da schon lange gesagt, hey, wenn Indiana Jones 4 rauskommt, will ich Indy-Geschichten schreiben. So bekam ich den Auftrag, die Comicadaption von Das Königreich des Kristallschädels zu machen.
Und Kenobi landete im Regal, denn nun war es ohnehin schon zu spät, noch das Jubiläumsjahr 2007 damit zu bedienen. Außerdem bestand mein Konzept, das ja noch ein Comic-Konzept war, inzwischen aus etwa 50 Seiten, was für einen Comic viel zu viel war, also… Da wusste ich schon, das wird nur als Roman funktionieren können.
Es stellte sich in der Folge heraus, dass Indiana Jones nicht in Comicform weiterentwickelt, bzw. weitergeführt werden würde, worauf ich eigentlich gehofft hatte, und ich fing an, Prosa zu schreiben: Die Geschichten des verlorenen Stamms der Sith, den Roman Knight Errant.
Und nun hatten wir das Jahr 2012, meine Arbeit bei Dark Horse war an ein Ende gekommen, denn ich hatte etwas um die 100 Star-Wars-Comichefte geschrieben, und es war Zeit für andere Leute. Und ich suchte nach einem neuen Projekt.
Zum gleichen Zeitpunkt war Lucasfilm daran interessiert, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und wieder stärker mit den Hauptfiguren zu arbeiten, anstatt wild durch die Zeitachse zu springen. Damals wurden ein Luke-Roman angekündigt, ein Leia-Roman, ein Han-Roman, all das passierte am Vorabend der Disney-Ära. Und ich hatte Obi-Wan Kenobi.
Ich sagte ihnen damals, hey, ich hab hier dieses alte Konzept, und die Herausgeber bei Del Rey sagten mir, okay, machen wir das. Ich ging zu meinem Konzept zurück und stellte fest, dass ich keine umfangreichen Überarbeitungen machen müsste. Einige Figuren mussten etwas verändert werden, einige wurden zu einer Person zusammengelegt oder in irgendeiner Weise verändert. Aber viele Szenen, die ich für den Comic vorgesehen hatte, blieben im Roman erhalten.
Obi-Wan hat im Roman die Tragödie von Episode III gerade erst hinter sich. Wie haben Sie sich dem Problem angenähert, trotzdem keine schmerzhafte, davon belastete Geschichte zu erzählen? Denn das hätte bei einem zu deutlichen Fokus auf Obi-Wan ja schnell geschehen können.
Etwas, das wir in den letzten Jahren, in denen ja auch für uns Krise auf Krise gefolgt ist, gesehen haben, ist, dass Menschen sehr gut darin sind, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ja, da draußen gibt es diese großen, existenziellen Bedrohungen, aber zur gleichen Zeit muss man sich Essen besorgen, man braucht eine Wohnung, man muss seine Kinder zur Schule bringen, und das Alltägliche, Persönliche und die großen Dinge, die die Welt oder gar die Galaxis beeinflussen, müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden.
Ich denke, Obi-Wan gelingt es in seinen ersten Wochen auf Tatooine, sich auf seine Eingliederung in seine Umgebung zu konzentrieren und auf die logistischen Basisfragen, also beispielsweise das nackte Überleben: Woher kriege ich Essen, Wasser, eine Eingangstür?
Das war das erste Kapitel, das ich damals schrieb, weil der Verlag eine Schreibprobe wollte: Annileen fährt zu Obi-Wan, weil der seine Einkäufe bei ihr vergessen hat, und sie sieht, welche Arbeit er mit seinen Tieren hat, mit seinem Garten. Und sie kann ihm dabei helfen, zu sagen, hey, das funktioniert hier so oder so.
Und auch das ist etwas Urmenschliches: Er kann an anderen Dingen nichts ändern, aber diese Dinge kann er tun.
Welche Lektion hat Obi-Wan aus Ihrer Sicht am Ende des Romans gelernt? Er hat sich ja einerseits als Jedi offenbart, aber andererseits auch begriffen, dass er das nicht mehr tun kann.
Auch das ist etwas, das wir erst nachträglich hinzugefügt haben: Der Verlag schlug vor, hey, bauen wir doch eine Szene ein, wo er sein Lichtschwert sichtbar einsetzt. Denn mein ursprünglicher Plan war gewesen, dass er das Schwert nie einsetzt, wenn jemand – der Leser eingeschlossen – es sehen kann. Sie meinten aber, hey, die Leute warten seit 350 Seiten darauf, geben wir ihnen das doch. Und klar, ich hatte damit kein Problem, sofern er es danach wegsteckt und nicht mehr hervorholt.
Das Grundkonzept des Buchs war ja schließlich, dass er den Mantel des Rittertums ablegt und aus Obi-Wan Ben wird.
Und mit Blick auf spätere oder kommende Geschichten: Meine Sichtweise war, ich schreibe hier über jemanden, der diesen Ort nie mehr verlassen wird. Und er muss lernen, sich damit abzufinden, dass er, wenn er den Planeten das nächste Mal verlässt, Luke Skywalker an seiner Seite haben wird, um loszufliegen und das Imperium zu bekämpfen. Auf das bereitet er sich vor.
Und ich glaube, der Obi-Wan, den wir am Ende des Buchs erleben, hat seinen Frieden mit der Vorstellung gemacht, entweder auf Tatooine zu sterben oder das Universum da draußen nur für den Endkampf wiederzusehen.
Über Comics und Romane
Sie haben, wie wir ja schon erwähnt haben, nicht nur Romane geschrieben, sondern auch Comics. Was sind aus Ihrer Sicht die Stärken und Schwächen der beiden Medien, gerade mit Blick auf Star Wars?
Ein Problem, das ich mit Comics habe, ist, dass ich auch Comic-Historiker bin: Ich habe als Comic-Journalist gearbeitet, ich betreibe noch immer eine Seite namens Comichron, die sich mit den Verkaufszahlen aller amerikanischen Comics befasst. Und in amerikanischen Comics gibt es ein großes Problem, sobald es darum geht, Fahrzeuge in Bewegung darzustellen.
Es gibt da viele Comics über den Krieg oder über Autorennen. Und das Problem mit Autorenncomics ist, dass sie alle aussehen wie ein Parkplatz. Bei einem Western kann man die Muskulatur von Pferden zeigen und Bewegung durch Staub implizieren. Aber bei Kriegs-Comics und so etwas, die einzige Bewegungs- oder Actiondarstellung, die sich anbietet, ist Feuer.
Und das führt zu großen Herausforderungen, sobald es um so etwas wie Raumschlachten geht. Mir war da immer wichtig, dass man begreift, wo sich was im dreidimensionalen Raum befindet. Und einem Künstler all so etwas klarzumachen, ist schwierig.
Ich habe deshalb selbst zum Bleistift gegriffen, um Skizzen anzufertigen, um zu zeigen, wo wer wie fliegt, wo was wie aufeinandertrifft. All so etwas ist bei Romanen einfacher, weil man dort als Autor selbst dafür verantwortlich ist, die Beschreibungen vorzunehmen.
Ich habe bei Kämpfen in meinen Star-Trek-Romanen, die vor der Trilogie spielen, eine Situation, die an die Schlacht der fünf Heere erinnert: Wir haben Klingonen, wir haben klingonische Rebellen, wir haben die Föderation, die Romulaner, und so weiter. Alle sind da, alle haben ihre eigenen Ziele, und es ist meine Aufgabe zu sagen, okay, der ist hier, die sind dort, und wenn der feuert, bedeutet das dies. Es sind einfach diese riesigen Gefechte.
Und zumindest für mich persönlich funktioniert all das in Prosa besser als in Comics.
Wobei es Leute sind, die so etwas hervorragend beherrschen: Dustin Weaver, der Zeichner von Knights of the Republic, hat wunderbare Konzepte für Schiffe, Flotten und derartige Dinge vorgelegt. Das sind wirkliche Höhepunkte von Knights of the Old Republic.
Und es ist schwierig, die kinetische Kraft von so etwas zu zeigen. Es hat schon seine Gründe, wieso Leute es vorziehen, Lichtschwertkämpfe zu zeigen anstatt TIE-Jäger-Gefechte und solche Dinge. Es ist nicht leicht, so etwas in der Zweidimensionalität von Comicseiten darzustellen.
Über Knights of the Old Republic
Knights of the Old Republic war eine riesige Reihe mit über 50 Einzelheften. Interessant ist im Rückblick, wie viele wichtige Figuren späterer Kapitel schon im ersten Heft voll ausgearbeitet auftauchen. Können Sie uns etwas über die Planung von etwas so Großem sagen?

In einigen Fällen geht es am Anfang nur darum, die Grundlagen zu haben: Bei einigen der Jedi des Geheimbunds wusste ich am Anfang zum Beispiel nicht einmal, wie sie aussehen würden. Ich gab sie unserem Zeichner Brian Ching, der ihnen ein Gesicht geben sollte, und erst dann konnte ich sehen, alles klar, diese Figur sieht so aus, jene so.
In anderen Fällen habe ich auf dem aufgebaut, was im fertigen Heft zu sehen war und habe das erweitert. Wir haben hier und da auch Rückblicke eingebaut, in denen wir die Grundlagen für spätere Ereignisse eingeführt haben. Ich glaube, im sechsten Heft taucht erstmals Rohlan der Mandalorianer auf. Zum Zeitpunkt, als dieses Heft geschrieben wurde, lag das erste Heft des nächsten großen Kapitels schon fertig vor, gezeichnet von Dustin Weaver. Wir wussten also, wie Rohlan aussehen würde, und so sagte ich, hey, nehmen wir Rohlan doch schon in diese Szene hinein und Malak ebenfalls – allerdings nicht Demagol, weil wir dort eine große Enthüllung vor uns hatten –, und auf diese Weise konnten wir das Folgekapitel vorbereiten.
Etwas, das man außerdem berücksichtigen muss, ist, dass im Rückblick – wo man heute diese Sammelbände und Megasammelbände hat – gar nicht mehr deutlich wird, wie lange es damals gedauert hat, bestimmte Geschichten zu erzählen. Man versteht nicht mehr, wieso es all diese unterschiedlichen Zeichner gab, aber diese Hefte erschienen eben einmal im Monat. Das gleiche gilt übrigens auch für Romane von Charles Dickens oder Sherlock-Holmes-Geschichten: Sie alle erschienen ursprünglich als Serien und wurden erst später in Sammelbänden gemeinsam veröffentlicht.
Und ich habe enorm davon profitiert, dass ich der alleinige Autor der ganzen Reihe war, was unglaublich selten ist. Auf diese Weise konnte ich all diese kleinen Hinweise verwerten und ausbauen und auch immer wieder Dinge wiederholen und dabei neu beleuchten. Es gibt in Knights of the Old Republic 6 diese Szene, wo Zayne Carrick festgenommen und aus dem Gebäude geschafft wird. In Heft 47 hatten wir die gleiche Szene wieder, nur hier eben mit Demagol, bzw. der Person, die wir hier für Demagol halten.
Es gibt mehrere solche wiederkehrenden Dinge: Die Szene, in der Zayne in den Tempel rennt und seine Mitschüler findet, haben wir drei Mal oder so gemacht. Wir haben immer wieder Rückbezüge hineingenommen, immer wieder Echos von Dingen. Und haben wir Ereignisse in Heft 40 von Anfang an so geplant? Nein, natürlich haben wir das nicht, weil wir ja nicht einmal wussten, dass es ein Heft 40 geben würde.
Das bedeutete natürlich auch, dass wir sehr vorsichtig sein mussten bei Dingen wie Demagol. Ich hab es so geschrieben, dass es so oder so enden konnte, falls die Reihe eingestellt worden wäre, bevor ich die Enthüllung durch hatte. Wäre das geschehen, wären das eben Szenen gewesen, in denen sich Rohlan etwas seltsam verhält. Stattdessen konnte ich selbst den Abzug betätigen, und das macht mich sehr glücklich.
Über den Kanon und Rae Sloane
Sie haben neben Star Wars auch an Reihen wie Star Trek, Battlestar und Halo gearbeitet…
Und Mass Effect, ja. Noch so ein Videospielfranchise, plus ein weiteres, über das ich noch nicht sprechen kann. Es ist interessant, wenn man mit einem großen Unternehmen zusammen arbeitet, weil man über die Jahre die anderen Lizenzen dieses Unternehmens kennenlernt. Und da ist es interessant zu sehen, wie unterschiedliche Universen mit dem Konzept eines gemeinsamen Spielfelds für unterschiedliche Autoren umgehen.
Ich habe mich mit der Entwicklung des Kanon-Begriffs befasst und was dies für Ableger-Bücher bedeutet. Es ist spannend zu sehen, wo wer welche Lektionen aus anderen Lizenzuniversen gelernt hat oder wo man sich entschieden hat, in eine völlig andere Richtung zu gehen.
Im Falle von Star Wars haben wir den großen Umschwung ja 2014 mit A New Dawn erlebt mit Disney und der Story Group. Man sieht die Entwicklung, die dort vor sich geht.
Bei Star Trek gibt es jetzt diese Streamingserien, und ich schreibe da die Romane und arbeite mit Kirsten Beyer, die als Autorin und Produzentin der Trek-Serien und Koschöpferin von Picard arbeitet. Bei meinem neuen Roman Rogue Elements konnte ich mit ihr reden und sagen, okay, ich entwickle hier den offiziellen Hintergrund dieser Figur. Das ist wunderbar. Und es kommt jetzt manchmal vor, dass mir Leute schreiben oder meine Erwähnungen auf Facebook explodieren, weil diese oder jene Figur irgendwo aufgetaucht ist.

Hat Sie diesbezüglich der Erfolg von Rae Sloane ähnlich überrascht?
Raes größere, langlebigere Rolle war geplant. Als ich sie schuf, sagte ich, okay, das hier ist eine Figur, die einen bestimmten Typ von Imperialen verkörpern kann. Diese Figur muss eine Zukunft haben oder könnte es zumindest. Ich sprach mit den Leuten bei Lucasfilm, während ich das Buch schrieb, und sagte, wenn ihr noch jemanden sucht, der in weiteren Büchern auftauchen könnte, dann ist sie zum einen eine gute Figur und zum zweiten eine der wenigen Überlebenden von A New Dawn.
Ich glaube, ich wusste schon damals, dass ich eine Menge Leute umbringen würde. Das ist so eines meiner Probleme mit Büchern: Die Todeszahlen sind eher hoch. Deshalb habe ich bei dem Picard-Roman, den ich gerade geschrieben habe, Wert darauf gelegt, dass im ganzen Buch nur eine Person stirbt, weil ich mir sagte: Angesichts all dieses Krams, den wir gerade durchleben, sollten wir uns hier etwas zurückhalten.
Die Buchclub-Folge mit dem kompletten Interview in englischer Sprache findet ihr auf Weltenfunk.de.
John Jackson Millers Website mit Making-of- und Trivia-Details zu seinen Werken findet sich auf farawaypress.com. Den Autor findet ihr außerdem auf Twitter und Facebook
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